Warum ist die korrekte Funktion des Koppelkondensators zum Gitter der Endröhre so wichtig?
Vorab möchte ich etwas anmerken:
Da ich als auf Silizium geschulter NF- und Grobelektroniker mir mein bescheidenes Röhrenwissen mit der Zeit mühsam selbst beigebogen habe, dachte ich, vielleicht kann ich mit meiner eher einfachen Sichtweise interessierten Kollegen, die noch "vor dem Berg" stehen, etwas Anschubhilfe leisten.
Sollte ich etwas falsch dargestellt oder wichtige Fakten vergessen haben und für sonstige Verbesserungen bitte ich die "alten Hasen" aussdrücklich um Unterstützung.
Nun zum Thema
Um oben gestellte Frage zu klären muss man sich etwas mit der Röhrentechnik befassen. Dabei versuche ich möglichst nicht in Richtung Atomaufbau, Fermi-Gase, physikalischer Stromrichtung und mathematischen Gleichungen zu gehen.
Eine Röhre ist ein Bauteil, dass eine verstärkende Wirkung hat. Sie verstärkt Ströme. Was heißt das nun "auf Deutsch"?
Die drei wesentlichen Teile einer Röhre sind
Anode, Katode und GitterNatürlich braucht sie auch noch den Glaskolben, die Heizung usw., aber das brauchen wir in diesem Fall nicht zu berücksichtigen.
Der Stromfluss in der Röhre verläuft von der Anode zur Katode. Er wird beeinflusst von der am Gitter angelegten Spannung. Diese muss
negativ gegenüber der Katode oder je nach Typ maximal gleich sein (also 0V zwischen Gitter und Katode - wie Kurzschluss zwischen beiden.Je negativer die Gitterspannung, desto geringer der Stromfluß von Anode zu Katode. Bei Erreichen einer bestimmten
Abschnürspannung (in negativer Richtung) macht die Röhre quasi dicht.
Viele Röhren erreichen ihre maximal zulässigen Werte bereits wenn die Gitterspannung immernoch im Minus-Bereich liegt.
Solange das Gitter Minus oder Null ist, fließt kein Strom über das Gitter. Die Röhre wird LEISTUNGSLOS gesteuert.
Das kann man sich wie einen ewig langen Hebel vorstellen, oder einen Wasserhahn, dessen Betätigung keine Kraft braucht.
Übersetzt auf einen Hebel kann man sich eine Röhre an deren Gitter nichts angeschlossen ist so vorstellen, als genüge nur ein leichter Lufthauch um tonnenschwere Lasten mit dem Hebel zu bewegen. So kann man sich leicht vorstellen, dass Röhren mit offenem Gitter zu Schwingungen neigen, eben wie ein Fähnchen im Wind flattert, nur das der Wind hier die leichtesten elektrischen Felder sind, die uns umgeben.
Die Röhre hat also einen nahezu unendlich hohen Eingangswiderstand - sie belastet also die Quelle, die das zu verstärkende Signal liefert so gut wie nicht.
Das Gitter darf auf keinen Fall positiv gegenüber der Katode werden, da...
1. der Anodenstrom unzulässig hoch und die Röhre damit überlastet und zerstört werden kann
2. das Gitter Strom zieht und die Eingangsquelle belastet - der Eingangswiderstand also nicht mehr unendlich wäre
Außerdem kann ein Gitterstrom zu Verzerrungen führen.
Dateianhang:
EL84 Symbol.png [ 3.18 KiB | 8757-mal betrachtet ]
Das Bild zeigt eine Pentode. In diesem Fall eine EL84.
Kontakt 7 ist die Anode
Kontakt 3 ist die Katode und das Schirmgitter
Kontakt 2 ist das Gitter
Kontakt 9 ist Gitter2
Kontakt 4 und 5 ist die Heizung
Bei einer Triode gibt es nur Anode, Katode und Gitter.
Aber warum ist ein defekter Koppelkondensator nun so schlimm?
Dazu ein Blick auf das Schaltbild eines einfachen NF-Teils. Einfach deshalb, weil es kein aufwendiges Klangregelnetzwerk enthält, was die Sache hier etwas unübersichtlich machen würde.
Dateianhang:
EL84 Endstufe ohne Klangregelung Signalweg 15010.png [ 53.07 KiB | 8757-mal betrachtet ]
Der Signalweg sieht folgendermaßen aus:
Das Tonsignal (grün) kommt vom Lautstärkepoti (unten im Bild) und wird über den Kondensator C101 auf das Gitter der Triode der EAB
C 80 gekoppelt.
Wichtiges Merkmal der Kondensatoren: Sie lassen nur Wechselströme durch und sperren Gleichströme!An der Anode des C-Teils der EABC80 liegt eine Gleichspannung von rund 90V an. Durch das Gitter wird dieser Gleichspannung zusätzlich die Wechselspannung des Tonsignals aufgedrückt.
Annahme: Die Tonsignalwechselspannung schwankt von -5V bis +5V, dann schwankt die Anodenspannung der Triode der EABC80 von ungefähr 85-95V.Nun kommt der Koppelkondensator zur EL84 C107 ins Spiel!
Er heißt so, weil er die Vorverstärkerstufe (Triodenteil der EABC80) mit der Endstufe (EL84)
koppelt.Der sperrt ja wie wir wissen Gleichströme. Abgesehen von Bauteileverlusten (ein bisserl Verlust ist ja immer
) kommt hinten wieder +-5V raus. Die werden einer negativen Gittervorspannung aufgedrückt, die durch verschiedene Widerstände im Bereich der EL84 erzeugt wird.
Vorspannung heißt, dass wenn kein Tonsignal ansteht, die Gitterspannung auf einem bestimmten Mittelwert im negativen Bereich vorgespannt wird. In diesem Fall ist dies die Nulllinie zwischen den positiven und negativen Halbwellen des Tonsignals
Nun kommt meine Bildungslücke:Annahme: Über C107 kommt das vorverstärkte Tonsignal in Form einer Wechselspannung mit negativem und POSITIVEM Anteil (die erwähnten +-5V). Die Katode der EL84 läge direkt auf Masse. Dann würde das Gitter der EL84 (Pin2) nun bei jeder positiven Halbwelle des Tonsignals ebenfalls positiv und das wollen wir ja nicht haben.
Wenn ich mich noch richtig an das zurückerinnere, was ich mal in grauer Vorzeit lernte, geht man folgendermaßen vor:
Die EL84 Anode-Katode wird immer von einem Gleichstrom durchflossen.
Dem soll ja das Tonsignal als Wechselspannung aufgedrückt werden.
Ist also kein Ton zum Verstärken da, fließt immernoch ein Gleichstrom durch die Röhre.
Schaltet man nun einen Widerstand in Reihe zur Katode der EL84 - wie hier im Schaltbild R110, dann fällt an ihm eine Spannung ab. In Diesem Fall U = R * I = 210 * (30mA+3,5mA) = 7,035V
Die Masse ist damit gegenüber der Katode der EL84 -7,035V.
Legt man das Gitter der EL84 nun auf Masse wäre es ungefähr bei -7V, aber auf jedenfall nicht positiv.
In diesem Zusammenhang meine ich noch den Begriff "hochgesetzte Masse" in den Krausen Hirnwindungen zu hören.
Wer jetzt mitdenkt, wird natürlich feststellen, dass ja das Gitter den Anodenstrom beeinflusst, damit auch den Spannungsfall am R110 und damit auch die Gitterspannung. Um das abzumildern schaltet man vermutlich den Kondensator C108 parallel zu R110.Ob das nun so stimmt, da bin ich mir nicht sicher. Daher bitte ich wie schon oben geschrieben, die echten Fachleute um Kontrolle und ggf. Korrekturen/Verbesserungen
Was aber sicher stimmt ist, dass bei einem defekten Koppelkondensator zwei Möglichkeiten bestehen:
1. Möglichkeit: Der Koppelkondensator trocknet aus, verliert seine Kapazität und wird hochohmig. Damit verhält er sich so, als wäre er nicht mehr vorhanden. Im Schaltplan erkennt man leicht, dass ein Fehlen/eine Unterbrechung des C107 dazu führt, dass die Endröhre kein Signal mehr bekommt. Das Radio schweigt.
2. Möglichkeit: Der Koppelkondensator trocknet aus und verursacht einen Kurzschluss. Nun verhält er sich so. als sei an Stelle des C107 eine Drahtbrücke vorhanden. Das Gitter der EL84 bekommt statt einer negativen Spannung auf der das Tonsignal aufgedrückt ist nun eine positive Spannung von 90-95V auf der aber auch noch die Toninformation aufgedrückt ist. Das Radio spielt weiter und da der Kondensator meist langsam kaputt geht, fällt die Klangänderung garnicht so auf - ähnlich wie bei Fahrwerksdefekten am Auto, die man auch erst merkt, wenn die Teile erneuert sind, ober einem irgendwann das Rad überholt.
Die 90V Gleichspannung am Gitter der EL84 bewirken einen sehr hohen Anodenstrom durch die EL84, damit durch die Primärwicklung des AÜ. Was beim Auto das verlorene Rad ist beim Radio dann der abgerauchte Ausgangsübertrager (AÜ) und/oder Netztrafo und/oder Gleichrichter und/oder EL84. Dem Widerstand R110 dürfte das auch nicht besonders gefallen.
Verfolgen wir den Signalweg noch zum Ende:
Dem Anodengleichstrom (Orange) der EL84 wird also das Tonsignal über das Gitter der EL84 verstärkt aufgedrückt (Grün). Die entsprechenden Stromschwankungen verursachen gleichermaßen Schwankungen des Magnetfeldes, dass die Primärwicklung des AÜs erzeugt. Dies wiederum erzeugt in der Sekundärwicklung des AÜs wieder eine reine Wechselspannung, da der AÜ als Trafo keine Gleichströme übertragen kann. Diese Wechselspannung versorgt den Lautsprecher.
Wem das jetzt alles zu viel der Theorie war, der kann sich das vielleicht auch an Hand eines plastischeren Beispiels merken - ein defekter Koppelkondensator zur EL84 ist so wie ein am Vollanschlag klemmendes Gaspedal.
Zum Schluss möchte ich nochmal um Korrektur und ggf. Ergänzung des Beitrages bitten und gleichzeitig denen, die es bis hier geschafft haben, für die Aufmerksamkeit danken.
Achso, falls es interessiert: Der Schaltungsauszug stammt vom Wega 109
http://www.radiomuseum.org/r/wega_109.html