Wir freuen uns", freute sich Telefunken-Direktor Werner Nestel, "daß wir sagen können: Doktor Bruch." Die versammelten Wissenschaftsjournalisten -- es war im Februar 1965, zweieinhalb Jahre vor der Einführung des Farbfernsehens -- durften bewundern, was in Deutschland rar geworden ist: einen hochkarätigen Erfinder.
Die Doktor-Würde (Ehren halber), verliehen von der TU Hannover, ist nur eine von einem halben Dutzend Ehrungen, die dem Telefunken-Ingenieur Walter Bruch, 61, zuteil wurden: Er trägt den Professoren-Titel (verliehen von der saarländischen Landesregierung), eine Plakette für "Verdienste um die Landeshauptstadt Hannover", das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern, einen britischen Fernsehpreis und einen "Goldenen Ehrenring" (von der Deutschen Gesellschaft für Film- und Fernsehforschung).
Vier Jahre lang galt das von Telefunken Anfang 1965 öffentlich vorgestellte "Pal"-Farbfernsehsystem als Musterbeispiel nachkriegsdeutschen Technikruhms. Nun aber erweist sich, was "Bild am Sonntag" 1967 stolz die "tollste Färberei der Welt" nannte, zum gut Teil als Schönfärberei. Die Branchenkonkurrenz, seit längerem insgeheim über Telefunkens werbeträchtigen Pal-Nimbus vergrämt, möchte das Image des "genialen Erfinders Bruch" (AEG -- Telefunken -- Pressesprecher Friedrich Bender) nicht länger unangetastet lassen.
Vom 1. Januar dieses Jahres an sollten Westdeutschlands Hersteller von Farb-TV-Geräten für die Nutzung des Pal-Systems eine Lizenzgebühr an Telefunken zahlen: 0,3 Prozent des Gerätepreises ab Fabrik.
Aber nun feilschen sie noch um die Höhe der Lizenzabgaben. Denn es gibt Grund zum Zweifel, ob Walter Bruchs Pal-Erfindung wirklich so genial und originär war, wie Telefunken-Werbetrommler glauben machen möchten.
"Telefunken hat das Pal-Farbfernsehsystem erfunden", so wirbt die Firma bei österreichischen Funkzeitschriftenlesern für ihre Color-Geräte*. Der Slogan stimmt, soweit "Pal" das einschlägige, unter der Nummer 1 252 731 erteilte Telefunken-Patent meint. Doch er ist irreführend, wenn die "Pal"-Abbreviatur bei ihrem Sinn genommen wird. Das Prinzip "Phase Alternation"** (so Pal in Langschrift), ·der genial-einfache Grundgedanke, Farbfehler bei der TV-Übertragung durch sogenannte Phasenumkehr aufzuheben, blitzte keineswegs zu Beginn der sechziger Jahre im Gehirn Walter Bruchs auf -- sondern entstand ein Jahrzehnt früher: In amerikanischen Publikationen des Jahres 1951 ist jene Pal-Idee schon nachzulesen.
Freilich, in technischen Veröffentlichungen und bei Fachvorträgen, so meldet Telefunken nunmehr auf Befragen, habe Erfinder Bruch einige Male dargelegt, daß sein Pal-System sich auf frühere amerikanische Vorschläge stütze. Aber in der breiten Öffentlichkeit wurde nachhaltig der Eindruck erweckt, als habe Bruch das Prinzip der Farbkorrektur durch Phasenumkehr erfunden.
"Die Idee ist so simpel", notierte Wissenschafts-Journalist Rainer Mälzig nach jener Pressekonferenz in der "Zeit", "daß man sich wundert, warum die amerikanischen Ingenieure nicht gleich darauf gekommen sind."
* In deutschen Anzeigen wird diese Formulierung nicht verwendet; doch legen auch die in der deutschen Werbung benutzten Wendungen beim Leser den Eindruck nahe, wer das (inzwischen als hochwertig bekannte) System Pal haben wolle, müsse ein Telefunken-Gerät (Markenname "Pal-Color") kaufen.
** "Phase Alternation Line": Phasenumkehr je Zeile.
Sie waren darauf gekommen. 1953 beschloß das amerikanische National Television System Committee (NTSC) eine für Amerika verbindliche Farbfernsehnorm; sie wird seither "NTSC-System" genannt. Aber schon zwei Jahre zuvor hatten der Ingenieur Bernard Loughlin von der US-Firma Hazeltine sowie ein Ingenieur-Team des Elektrokonzerns RCA unabhängig voneinander eine Methode ersonnen, mögliche Farbfehler des bunten Bildes zu korrigieren.
Denn jene Erfinder hatten vorausgesehen, daß ein (nach NTSC-System) über weite Strecken gefunktes Farbbild kaum ohne häßliche Farb-Verfälschungen im Empfänger ankommen würde. Die Ansagerin läuft mitunter grünlich an, als würde ihr schlecht; dann wieder sieht es so aus, als stünde sie mit hochrotem Kopf kurz vor einem Schlaganfall.
Loughlin und das RCA-Team schlugen einen Trick vor, um solche Fehler auszugleichen: Die Richtung (bezogen auf die Farbskala), in der die Funkwellen mit den Farbtonwerten beladen werden, sollte sich periodisch umkehren. So würde sich jeder Übertragungsfehler mit seinem Komplementärbild überlagern: Einem Rotstich des Bildes würde im folgenden Sekundenbruchteil ein Blaustich folgen -- beide zusammen sollten sich im Auge des Zuschauers zum korrekten, dazwischenliegenden Farbwert ausgleichen.
Diese periodische Farbumkehr, von Loughlin "Oscillating Color Sequence", von RCA "Color Phase Alternation" genannt, ist die Grundidee des Pal-Verfahrens. Amerikas Fernseh-Industrielle mochten sich jedoch nicht dazu entschließen: Die Color-Empfänger wären wesentlich teurer geworden, die Einführung des Farbfernsehens hätte sich wegen notwendiger Entwicklungsarbeiten noch verzögert. und überdies hätten beim Verfahren Loughlin/RCA größere Farbfehler auf dem Bildschirm eine störende Jalousie-Struktur erzeugt.
So behalfen sich die amerikanischen Normgeber damals mit einem Hufs-Dreh am Empfänger: Alle NTSC-Geräte sind mit einem Farbtonknopf ausgerüstet, mit dem der Zuschauer die seiner Meinung nach zutreffende Bildfärbung einregulieren kann.
Unterdes ließ sich Erfinder Loughlin vorsichtshalber seine Korrektur-Idee -- im Jahre 1952 -- für Deutschland patentieren (Patent-Nummer 928 474). Im Sommer 1960 jedoch erlosch dieses Patent: Die Firma Hazeltine zahlte die fällige Jahresgebühr nicht mehr, weil die US-Industrie damit rechnete, daß in Europa das NTSC-System unverändert übernommen würde.
Doch schon ein Jahr darauf -- 1961 -- schritt Telefunken zur Patentanmeldung. Walter Bruch hatte eine Schaltung erdacht, mit deren Hilfe sich die Loughlin-Idee elektronisch verwirklichen ließ: Je zwei benachbarte, mit entgegengesetzten Farbfehlern einlaufende Fernseh-Zeilen sollten auf elektronischem Wege vermischt werden, bevor sie -- nunmehr mit korrekten Farbtönen -- auf dem Bildschirm erschienen.
Der Telefunken-Patentantrag erwähnte freilich nicht, daß die Erfindung auf einer Idee beruhte, die bereits zehn Jahre zuvor in der US-Fachliteratur ausführlich diskutiert worden war.
Was Walter Bruch bei seinen intensiven Studien (wie Telefunken behauptet, versehentlich) übersehen hatte, entdeckten die Sachbearbeiter des Deutschen Patentamtes in München bei ihren Routine-Prüfungen sofort: Sie verwiesen auf das Loughlin-Patent und lehnten den Patent-Antrag wegen Nicht-Neuheit" ab.
Erst danach bekannte sich Bruch in einer neuformulierten Patent-Anmeldung zu seinem Vorläufer Loughlin und schränkte gleichzeitig den Patentanspruch ein: Nicht mehr die Grundidee der Phasenumkehr im TV-Sender, sondern nur noch die elektronische Zeilenmischung im Empfänger sollte urheberrechtlich geschützt werden.
Doch auch dieser Einfall war dem Telefunken-Ingenieur nicht von ungefähr gekommen. Bruch experimentierte damals in Hannover unter anderem mit dem in Frankreich entwickelten Farbfernseh-System Sécam, das ihm die Fernseh-Firma Compagnie Francaise de Télévision zu Vergleichs-Zwecken überlassen hatte.
Dort fand er einen Trick vor, der sich für die Realisierung der Loughlin-Idee vorzüglich eignete: Sécam-Erfinder Henri de France mischte zwei aufeinanderfolgende Bildzeilen, indem er jede Zeile im Empfänger so lange speicherte, bis die nächste eingetroffen war und somit beide gleichzeitig zur Verfügung standen. (De France benutzte dieses Verfahren allerdings für einen anderen Zweck als Bruch.)
Das Patentamt war einverstanden, die Misch-Schaltung für Telefunken zu patentieren -- nicht jedoch die deutschen Konkurrenten: Der Einspruch der Interessengemeinschaft für Rundfunkschutzrechte (IGR, einer Vereinigung der Rundfunk- und Fernsehfirmen für die Fragen des Patentwesens) veranlaßte Telefunken schließlich zur Rücknahme des Patent-Antrages.
Inzwischen aber war die Pal-Erfindung ein weiteres Mal zum Patent angemeldet worden -- diesmal in Frankreich.
Etwa zur gleichen Zeit wie Walter Bruch fiel auch dem französischen Ingenieur Gérard Melchior, Mitarbeiter der Fernseh-Firma CFT, ein, das Umkehr-Prinzip von Loughlin und RCA elektronisch zu verwirklichen. Diese französische Pal-Version steht seit März 1962 unter Patentschutz. Sie wird jedoch von der Inhaber-Firma nicht verwendet; Frankreich entschied sich (ebenso wie später die Sowjet-Union und jüngst auch die DDR) für das Sécam-Verfahren von Henri de France.
Walter Bruch aber studierte das französische Melchior-Patent (Nummer 889 835) ein dreiviertel Jahr. Das Resultat war eine neuerliche Patentanmeldung für das Telefunken-Pal-System. Der beim Münchner Patentamt eingereichte Schriftsatz hatte denn auch (so Badrig Guendjian, Chef der CFT-Patentabteilung, zum SPIEGEL) "dem Melchior-Patent einiges zu verdanken". Und deutsche Experten konstatierten insgeheim, daß die Erfindungen von Bruch und Melchior in ihren Grundgedanken praktisch identisch seien.
In der IGR-Sitzung vom 3. November 1967 erkannten die Fachleute der übrigen deutschen Farb-TV-Hersteller jedoch,
* daß ein (sachlich durchaus begründeter) Einspruch gegen jenes Telefunken-Pal-Patent teure Konsequenzen haben könnte: CFT würde Haupt-Inhaberin des Pal-Systems und könnte die Höhe der Lizenzgebühren diktieren, die für jeden verkauften Pal-Empfänger zu zahlen wären; daß andererseits
* bei Nicht-Einspruch Telefunken und CFT in ein Patent-Patt manövriert würden und mithin von den Firmen, die Pal in Lizenz bauen wollten, gegeneinander ausgespielt werden könnten: Keiner würde es wagen, des anderen Schutzrechte anzugreifen. weil dies zu einem jahrelangen Prozeß mit unvorhersehbarem Ausgang geführt hätte.
So wurde Walter Bruch unangefochten unter der Nummer 1 252 731 als Erfinder eines "Farbfernseh-Empfängers für ein farbgetreues NTSC-Systein" (Pal genannt) in die deutsche Patentrolle eingetragen.
Die Rechnung ging auf. Im März letzten Jahres schlossen CFT und Telefunken einen Nichtangriffspakt, in dein sie (so das gemeinsame Kommuniqué) "gegenseitig auf Angriffe gegen ihre Schutzrechte" verzichteten.
Beide Konzerne mußten sich mit einer Teilhaberschaft an Pal begnügen und die Lizenzeinnahmen unter sich aufteilen. Sie mußten außerdem den Verzicht der deutschen Fernseh -Industriellen auf Einsprüche gegen die deutschen und französischen Farb-TV-Patente mit günstigen Lizenz-Konditionen erkaufen: Bis zum Ende des Jahres 1968 wurden keine Lizenzgebühren erhoben; seit dem 1. Januar gehen für jeden deutschen Pal-Empfänger 1,6 Promille des Werksabgabe-Preises an die OFT <rund 2,50 Mark pro Gerät), Telefunken verlangt drei Promille (etwa fünf Mark). Insgesamt sind an amerikanische und europäische Firmen rund 50 Mark pro Gerät zu zahlen.
Um den solcherart ausgehandelten Patentfrieden zu sichern, wurde die deutsche TV-Industrie vertraglich zum Stillhalten gezwungen: Jede Firma, die Pal-Gerate baut, muß sich verpflichten, die französischen Farbfernseh-Schutzrechte nicht anzugreifen. Nur unter dieser Bedingung hielt die CFT ihre Lizenzforderungen niedrig.
Im Schutze dieser Stillhalte-Abkommen häkelten die Telefunken-Manager weiter an ihrer Pal-Erfinder-Legende. So etwa am 17. Februar, als Journalisten in Hannover zur Werksbesichtigung geladen waren. Rudi Mantz, Leiter des Fachbereichs Rundfunk- und Fernsehgeräte, sprach bei dieser Gelegenheit auch über die Entstehung von Pal.
Was er ausführte, blieb den Reportern unverständlich -- bis auf einen Satz: "Sie wissen, daß in unserem Labor hier unter Leitung von Professor Doktor Walter Bruch diese zündende Idee gefunden wurde."
DER SPIEGEL 11/1969, S. 182-184
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