Hallo Georg,
viele Fragen, die es in sich haben. Wie es scheint, erfordert die Verstärkerschaltung doch noch einige Erläuterungen. Also hier nochmal relativ ausführlich:
radio-hobby.de hat geschrieben:
Mich hätte noch interessiert, wie der Frequenzgang bei reduzierter über-alles-Gegenkoppelung ausgesehen hätte. Also z.B. bei einem etwas größeren Widerstandswert für R16.
die allgemeine Antwort ist: je schwächer die Gegenkopplung wird, desto mehr nähert sich der
Frequenzgang dem Leerlauffrequenzgang (schwarze Kurve in der Frequenzgang-Grafik).
Wenn man die Zahlenwerte kennt für die (frequenzabhängige) Leerlaufverstärkung, also die
Verstärkung ohne den Widerstand R16 in meinem Schaltbild, und den Gegenkopplungsfaktor,
also das Teilerverhältnis R5/(R16 + R5), dann kann man sich den daraus folgenden
Frequenzgang bzw. die frequenzabhängige Verstärkung V mit Gk für jede Frequenz ausrechnen.
V = A/(1 + bA),
wobei A = Leerlaufverstärkung, b = Teilerverhältnnis.
(Ableitung dieser Gleichung spare ich mir hier mal. Kann man in der Literatur nachlesen.)
Um im Beispiel zu bleiben:
bei meinem Verstärker liegt die Leerlaufverstärkung im mittleren Frequenzbereich bei 56V/V.
Das Teilerverhältnis b liegt bei b = 2.2/(39 + 2.2) = 0.0534. Daraus ergibt sich:
V = 56/(1 + 0.0534*56) = 14.0
Zu beachten ist, daß das zunächst für mittlere Frequenzen gilt. Hier ist A eine annähernd reelle
Zahl. Im allgemeinen ist A eine komplexe Zahl, also mit Betrag und Phase. An den Enden des
Übertragungsbereichs weicht die Phase zunehmend von 0° ab, d.h. der imaginäre Anteil von A
kann nicht mehr vernachlässigt werden. Hier gelten dann die Rechenregeln für komplexe Zahlen.
radio-hobby.de hat geschrieben:
Noch 'ne Frage: warum liegen R1 und R6 nicht auf Masse? Willst du den Eingangswiderstand erhöhen, indem du den Fußpunkt des 1 MOhm Widerstandes "hochlegst"? Warum? Und: Welche evtl. nachteiligen Effekte der Mitkoppelung fängt man sich damit ein?
Ich denke, Deine Frage zielt auf die Funktion einer lokal stromgegengekoppelten Verstärkerstufe.
Die beiden nicht kapazitiv überbrückten Widerstände z.B. R5 und R6 in der Kathodenleitung bewirken vom Eingangssignal her gesehen eine Verringerung der effektiven Steilheit der Röhre. Aber gleichzeitig auch eine Verringerung der Nichtlinearität der Ia/Ug-Kennlinie um etwa den gleichen Faktor. Die reduzierte Steilheit bewirkt natürlich auch eine reduzierte Verstärkung, aber auch eine reduzierte Frequenzabhängigkeit von Verstärkung und Phase (flacherer Frequenzgang).
Näherungsweise ergibt sich im Beispiel der Verstärkungsfaktor U der Röhre mit Gegenkopplung zu
U = R3/(R4 + R5 + Rs)
wobei Rs der Kehrwert der Kennliniensteilheit im Arbeitspunkt ist. Im vorliegenden Fall liest man aus dem Kennlinienfeld der ECC88 bei 5mA Anodenstrom und ca. 65V Anoden-Kathodenspannung eine Steilheit von etwa 7mA/V ab. Also Rs = 1/7mA/V = 143 Ohm.
Dieser Wert für U ist ein Näherungswert weil der Einfluß des Innenwiderstandes der Röhre und des Eingangswiderstandes der Folgestufe vernachlässigt wird. Das ist in diesem speziellen Fall mit relativ starker Gegenkopplung und relativ kleinem R3 zulässig.
Bei der zweiten Stufe liegt dem Arbeitswiderstand R8 der Eingangswiderstand der EL84 parallel. Dieser ist durch die lokale Gegenkopplung der EL84 mit R13/C5 relativ klein. Dadurch verringert sich die Verstärkung dieser Stufe nochmal um etwa 8dB.
Um den relativ niedrigen EL84-Eingangswiderstand verzerrungsfrei auszusteuern, braucht man einen relativ kräftigen Anodenstrom der Vorröhre. In diesem Fall habe ich ca. 5mA vorgesehen.
Aus dem Kennlinienfeld liest man ab, daß für 5mA Anodenstrom eine Gitter/Kathodenspannung von -1..2V nötig ist. Diese fällt am Widerstand R4 bzw. R9 ab. Hier muß also der Gitterwiderstand R1 bzw. R9 angeschlossen werden für eine automatische Gittervorspannungserzeugung. Wie Du schon bemerkt hast, erhöht sich dadurch der Eingangswiderstand um etwa den gleichen Faktor um den sich die effektive Steilheit verringert. Das ist hier aber eine Nebenwirkung. Nachteilige Effekte habe ich keine bemerkt, sollten auch theoretisch nicht vorkommen.
Anschließend erhebt sich die Frage: Wozu der ganze Umstand wenn es im Radio zuvor eine einzige Vorröhre ohne die ganzen komplizierten Gegenkopplungen auch getan hat?
Die Antwort liegt in der Forderung nach einer globalen Gegenkopplung des Verstärkers mit der die linearen und nichtlinearen Verzerrungen verringert werden können ebenso wie der Ausgangswiderstand.
Ich bin am Anfang davon ausgegangen, daß man etwa 12dB Gegenkopplungsfaktor erreichen kann. Das ist ein Schätz- und Erfahrungswert für so einfache Ausgangsübertrager wie den hier verwendeten. Stärkere Gegenkopplung und entsprechend höhere Leerlaufverstärkung führt bei diesen Übertragern schnell zu Eigenschwingungen.
Daran hängt dann aber auch ein Rattenschwanz von weiteren Anforderungen. 12dB Gegenkopplung bedeutet, daß die Leerlaufverstärkung (open loop gain) um 12dB, also etwa den Faktor 4, höher sein muß als die Verstärkung mit Gegenkopplung (closed loop gain). Letztere wird auf 14V/V oder 23dB festgelegt durch die geforderte Eingangsempfindlichkeit bei Vollaussteuerung, in diesem Fall 300mVeff. Das wieder erfordert eine Leerlaufverstärkung von mindestens 4 x 14V/V = 56V/V.
Die Verstärkung vor dem AÜ muß weit über dessen Übertragungsbereich hinaus frequenz- und phasenstabil sein um Eigenschwingungen zu vermeiden. Ebenfalls ist eine relativ niedrige Impedanz im Gitterkreis der EL84 wünschenswert, um Gitterstromverzerrungenzu vermeiden. Nur eine Triode als Vorverstärker reicht dafür nicht aus. Andrerseits wird aber eine höhere als die oben festgelegte Mindest-Leerlaufverstärkung von 56V/V nicht nur nicht benötigt sondern kann auch schnell zu Eigenschwingungen des Systems führen. Da hier über drei Verstärkerstufen hinweg gegengekoppelt wird, werden hohe Anforderungen an die Frequenz- und Phasenstabilität gestellt. Beide Anforderungen, richtige Leerlaufverstärkung sowie Frequenz- und Phasenstabilität, kann man aber durch zwei Vorstufen mit jeweils lokaler Gegenkopplung bequem erreichen.
radio-hobby.de hat geschrieben:
Schließlich: Ich vermisse das Boucherot-Glied, das ja Phasendrehung am Ausgangstrafo z.T. kompensieren soll. Ist es vielleicht in Wahrheit überflüssig?
Über das Boucherot-Glied ist im Internet viel geschrieben worden, Zutreffendes und weniger Zutreffendes.
Im Original diente es dazu, Kontakt-Abbrand bei geschalteten induktiven Lasten zu vermeiden.
Ich selbst sehe keine Notwendigkeit, ein solches bei Röhrenverstärkern einzusetzen. Mir ist auch kein Röhrenradio und keine klassische Röhrenverstärkerschaltung bekannt, wo so etwas eingesetzt wird. Die Phasendrehung im AÜ kann ein Boucherot-Glied jedenfalls nicht kompensieren. (Wäre auch zu schön, wenn das möglich wäre.)
Bei Transistor-Verstärkern, die noch bis >100kHz eine hohe Leerlaufverstärkung aufweisen mit wesentlich stärkerer Gegenkopplung macht so eine RC-Kombination Sinn, hat aber eine andere Funktion als die des Original-Boucherot-Gliedes.
Nicht verwechseln mit einem Boucherot-Glied sollte man die häufig empfohlene Parallelschaltung einer solchen RC-Kombination zu einer Lautsprecherbox-Weichenschaltung. Hier dient sie dazu, einem Röhrenverstärker mit relativ hohem Ausgangswiderstand einen halbwegs konstanten Lastwiderstand anzubieten und damit die Abhängigkeit des Frequenzgangs vom Wert des Lastwiderstands zu verringern.
Wieder etliche Klarheiten beseitigt?
Gruß
Heinz