Hallo in die Runde.
Zu dem nun folgenden Bericht ließ ich mich durch einen Parallelbeitrag hier im Forum inspirieren, in dem eine solche Truhe von einem Neumitglied gefunden wurde. Nun, eine solche Truhe besitze ich auch, sie begleitet mich seit meiner Geburt, wurde aber nie einer Revision unterzogen.
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Nachdem das Thema nun hier im DRF aufkam, begann ich mich rückzuerinnern.
Der folgende Bericht wird also kein Restaurierungsbericht, er kann aber ergänzt werden, sobald ich die Zeit finde, mich der technischen Revision der Truhe mit Muße und Geduld zu widmen, sie hat’s verdient (allerdings steht das Möbel nicht bei mir zu Hause, was die Reparatur erschwert).
Zugleich gehen in Foren wie diesen ja manchmal aus geringen Gründen „Emotionen“ hoch, so dass ich hier einfach einmal einen Wohlfühlbericht verfassen möchte. Wird etwas länger, aber man muss ja nicht lesen……..
PROLOGIch bin ein Kind der Röhrenradiozeit. 1960 geboren, sah man die Geräte in jedem Haushalt, und früh war mein Interesse geweckt. Von meiner Mutter habe ich die Liebe zum Radiohören geerbt, ab 1976 wurde Sammelleidenschaft daraus, sehr zum Leidwesen meines Vaters.
Man muss vorwegschicken, dass meinen Eltern die Liebe zu
neu gekauften Gegenständen innewohnt(e). Diese wurden stets hoch geschätzt, auch wenn sie Älterem qualitativ nachstanden. Das Ältere wurde bei dieser Wesensart schnell zum „alten Mist“, den es baldigst zu entsorgen galt. Die Küchen – SABA Sabine M von 1957 fiel bereits ca. 1967 zum Opfer, ohne dass eine Reparatur in Betracht gezogen wurde. Sie blieb unersetzt, da mein Vater längst dem Fernseher den Vorzug einräumte. Und der stand im Wohnzimmer auf der Graetz – Scerzo- Truhe, was wahrscheinlich ebenso ihr Überleben sicherte wie der Umstand, dass sie nie kaputt war. Sie funktioniert bis heute.
Das Hochzeitsmöbel: Die Graetz Raumklang-Truhe "Scerzo 432" von 1956Zunächst einmal ein paar Daten.
Radio: Graetz Melodia 419
Kreise: 6 AM, 11 FM
Röhren: ECC 85, ECH81, EF89, EABC 80, EL84, EM34
Lautsprecher: als Truhe pdyn 310 x 200 mm und pdyn 100 mm, Raumklangsystem („Schallkompressor“), der in der Truhe richtig Bums bringt
Klangtasten: Sprache, Solo Orchester, dann sind Höhen- und Bassregler inaktiv. Drückt man keine Taste, so werden die Fenster von Höhenregler und Bassregler erleuchtet und beide sind aktiv. Zusätzlich Taste „Raumklang“. Zwei weitere Kleintasten: Mag. Auge abschaltbar und Zusatzlautspr. abschaltbar.
Plattenspieler: Perpetuum Ebner "Rex A", 10-Platten-Wechsler, in beleuchtetem Extrafach, 3 Geschwindigkeiten, Vollautomat.
Neupreis der Truhe: 898 DM
Einige Fotos:
- Plattenraum hinter rechter Schiebetür
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- Rückansicht
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- Chassis
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Diese Truhe kaufte mein Vater noch vor der Hochzeit, sie sollte wohl ein zentraler Punkt der gemeinsamen Wohnung werden. Meine Eltern heirateten Anfang Juni 1957.
Das neue Haus wurde Anfang 1960 bezogen, die Truhe wanderte dort ins Wohnzimmer, kurz danach kam ich dazu. Beim Hausbau hatte ich aktiv mitgewirkt, meine Mutter arbeitete trotz Schwangerschaft bis zuletzt hart körperlich mit, das war damals nicht ungewöhnlich.
Frühe Kinderfotos zeigen mich vor der elektrischen Eisenbahn, die nur zu Weihnachten aufgebaut wurde, vor der Graetz-Truhe.
Seit früher Kindheit ist mir in Erinnerung, dass die Truhe die Wohnung beschallte, wenn Vater zur Arbeit außer Haus war. Meine Mutter liebte Radiomusik, und bei häuslicher Arbeit füllte die Truhe alle Räume der Wohnung problemlos.
Früh (ich schätze mit 5-6 Jahren) zeigte meine Mutter mir, wie man mit dem Plattenspieler umging. Meine Eltern besaßen Schellackplatten und 45er. Natürlich wurde ausgiebig die Plattenwechselfunktion genutzt:
Radio auf TA schalten, die Skalenbeleuchtung ging an.
Schiebetür zum Radio schließen und Schiebetür zum Plattenfach öffnen, das Licht ging an.
Große Achse passgerecht in die Mitte des Plattenspielers einsetzen, 10 Platten auswählen, die standen im Ständer oberhalb des Drehers.
Dann den goldenen Metalldeckel passgerecht auf die Achse setzen.
Am Drehzahlregler den Hebel auf die richtige Plattengeschwindigkeit stellen, 78 oder 45.
Nun wurde es ernst: Den kleinen Hebel unter dem Tonarm nach hinten drücken und bis 5 zählen (hat meine Mutter mir als Kleinkind so eingeimpft). Der Teller kam in Bewegung, jetzt den Hebel loslassen, der Tonarm hob sich automatisch, schwenkte zum Plattenstapel, stieß an, ein Platte fiel erst halb, dann komplett nach unten, der Tonarm setzte auf, spielte die Platte, hob sich ab, schwenkte zur Seite, die nächste Platte fiel, der Arm setzte auf... usw. bis alle 10 Platten durch waren.
WOW ! Was für ein Schauspiel für einen 5-Jährigen !Ok., meine Eltern besaßen nur Platten, auf denen der Waldkauz im Silberwald besungen wurde, oder irgendein Jägersmann im grünen Moos, einige wenige „Freddy-Platten“ waren immerhin darunter (das war schon eher progressiv), aber was machte das in Anbetracht dieses tollen Geräts !
Eine Single mit den „Hits von 1966“ die man damals im Plattengeschäft geschenkt bekam („Klingende Post“), bot Besseres, ich spielte sie rauf und runter und versuchte mit Akribie, immer genau die 10-sekündige Liedstelle des Liedes zu finden, das mir am besten gefiel. Ich glaube, es war irgendwas von Sinatra.
Leider hatte ich wohl um 1966 irgendwas von Heintje im Radio gehört, und den Fehler gemacht zu bekennen, dass mir das als 6-jähriger gefiel. Die Paten freute es, denn diese waren fortan davon entbunden, sich um ein Geburtstags- oder sonstiges Geschenk unnötig Gedanken machen zu müssen. Ich bekam viele Heintje-Singles geschenkt. Ein paar Wencke-Myhres waren auch dabei. Ich habe die Platten bis heute, aber seit den 60ern nicht mehr gespielt.
Dann gab's da noch ein originelles rotes Bürstchen mit Aufdruck POLYDOR. Vorne am Kopf wuchsen ihm Borsten, unten war es mit schwarzem Samt belegt. Auch ein lustiges Teil für ein Kind....
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Meine Mutter brachte mir bei, wie man damit Platten reinigte und vorsichtig den Saphir bürstete, wenn der Klang schlecht wurde. Der Saphir hat meine Säuberungen tatsächlich überlebt....der POLYDOR-Plattenreiniger auch, denn natürlich durfte ich ihn nicht zu meinen Matchbox-Autos gesellen und damit spielen.
Jedenfalls verbrachte ich gerne Zeit vor der Graetz-Truhe, denn einen anderen Plattenspieler hatten wir nicht.
Mit dem Älterwerden wuchsen der Truhe andere, progressivere Aufgaben zu.
Davon im 2. Teil dieser Reminiszenz (natürlich nur, falls der Teil 1 überhaupt hinreichend Interesse findet).
k.