Ein "Retro"-Transistor-Verstärker, Erfahrungen, Bericht.

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Heinz
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Ein "Retro"-Transistor-Verstärker, Erfahrungen, Bericht.

Beitrag von Heinz »

Teil 1

Hallo zusammen,
seit langer Zeit bin ich sehr zufrieden mit meinem selbstgebauten Verstärker
für das Home-HiFi-Hobby. Entsprechend habe ich auch keinen Anlaß gesehen, in
dieser Richtung (Transistor-Verstärkerbau) noch einmal tätig zu werden.
Vor einiger Zeit aber besuchte mich ein alter Bekannter mit der Bitte um
Unterstützung für ein Projekt, das ihn schon lange, wie er sagte, "umtrieb".
Er hätte schon vor 2..3 Jahren einen Haufen Leistungstransistoren erworben.
Damals zum Schüttgutpreis. Hinzugekommen sei jetzt ein schöner 100W-
Ringkerntrafo (Schneider-Türkheim, Bj. 00, 2 x 23V sek.). Damit, so meinte er,
sollte sich doch ein ordentlicher Verstärker bauen lassen. Am besten
universell verwendbar für Home-HiFi, Partykeller, Heimkino, Outdoor, etc.

Den "Haufen" hatte er gleich mitgebracht. Eine erste Inspektion ergab, daß
dieser zu etwas mehr als der Hälfte aus alten bis sehr alten 2N3055-Typen im
TO3-Gehäuse bestand, z.T. von längst verblichenen Herstellern (Bendix,
Solartron, u.a.). Die ältesten Exemplare sicher um die 50 Jahre alt.
Der Rest bestand einheitlich aus neueren BDX18, ebenfalls im TO3-Gehäuse. Der
BDX18 kann laut Datenblatt als PNP-Komplementärtyp zum 2N3055 eingesetzt
werden.
Etwas verdächtig war bei diesen Exemplaren , daß kein Herstellername oder -
logo angegeben war. Auch war die Typbezeichnung aufgedruckt, nicht eingeätzt,
wie bei den meisten Markenherstellern üblich. Der Verdacht lag nahe, daß es
sich hier um "Raubkopien" handelte. Das macht sie nicht gleich untauglich.
Internetbeiträge empfehlen aber, daß man sich in diesem Fall nicht darauf
verlassen sollte, daß offizielle Datenblatt-Grenzwerte eingehalten
werden wie thermische Belastbarkeit, Spannungsfestigkeit, Transitfrequenz oder
Stromverstärkung.

Mit diesen Zutaten einen "ordentlichen Verstärker" zu bauen, empfand ich als
zumindest interessante Herausforderung. Also habe ich erstmal meine
Unterstützung zugesagt.
Allerdings mit strikter Aufgabenverteilung: ich bin zuständig für den
Schaltungsentwurf für einen Leistungsverstärker, Inbetriebnahme und Meßwerte.
Alles, was mit Hardware-Aufbau zu tun hat, fällt nicht in meine Zuständigkeit.
Ebensowenig alles, was evtl. später noch hinzu kommen könnte wie
Vorverstärkerfunktionen etc.

Für die Schaltung des Verstärkers muß man das Rad nicht neu erfinden. Auch für
alte Transistor-Typen gibt es viele Vorlagen. Ich habe eine eigene genommen,
die sich bei mir bewährt hat.
(viewtopic.php?f=62&t=30120&p=270247+&hi ... er#p270247)
Nur die Endstufe wurde modifiziert auf voll-komplementär und eine Anpassung an
die höhere Betriebsspannung war nötig.

Die letztlich ausgeführte Schaltung, nach allen Tests und Änderungen, sah dann
so aus:
IMG11_Schaltplan_1500.gif
Bild1 Schaltbild

Ich bin ein Fan von Brett-Test- und Meßversionen, die man vor dem endgültigen
Gerät aufbaut. Das erwies sich auch hier als hilfreich.
IMG12_Testaufbau_fr_1024_60_sch.jpg
Bild2 Brett-TestVersion, nicht von mir
(ein paar Teile allerdings stammen aus den Tiefen meiner Bastelkiste).

Zuvor aber war es nötig, aus dem "Haufen" einen Satz (bzw. zwei Sätze)
brauchbarer Exemplare auszumessen.
Mit einem kleinen provisorischen Testgerät (fliegender Aufbau) konnte
zumindest die (Gleich-)Stromverstärkung und die Spannungsfestigkeit gemessen
werden. Die Transitfrequenz konnte zumindest grob abgeschätzt werden durch
Ansteuerung der Basis mit Rechtecksignalen. Eine Bestimmung der thermischen
Belastbarkeit der BDX18 war uns aber zu aufwendig.

Aus ca. 40 ausgemessenen Exemplaren ließen sich dann zwei Sätze zu je 4
komplementären Exemplaren aussondern, die in etwa gleiche Werte für
Stromverstärkung und Transitfrequenz hatten. Die jeweils gemessenen Werte für
die Stromverstärkung erleichtern die Berechnung der Schaltung.
In der Endstufe werden jeweils zwei Transistoren parallel eingesetzt. Das
halbiert die thermische Belastung jedes einzelnen. So hofften wir, unter der
kritischen Grenze für die BDX18 zu bleiben.
Nach der Inbetriebnahme der Testversion (s. Teil2) und den endgültigen
Einstellungen ließen sich dann die folgenden Werte messen:
IMG13_Frqg.gif
Bild3 Frequenzgang, max. Ausgangsleistung

IMG14_20Hz_20k_1500.jpg
Bild4 Rechteckverhalten, 20Hz, 200Hz, 2kHz, 20kHz, ca. 4Vss an 4 Ohm.

Der Verstärker verträgt auch realistisch vorkommende kapazitive Lasten ohne
permanent ins Schwingen zu geraten.
IMG15_Kap_022_1u_800.jpg
Bild5 Rechteck ca. 4Vss/10kHz an 4 Ohm || 0.22 µF (links) und 1µF (rechts)

Die maximale Ausgangsleistung vor Einsetzen der Übersteuerung betrug 58W an
4 Ohm bei 1kHz. Der gemessene Klirrfaktor bei 50W Ausgangsleistung und 1kHz
betrug 0.016%. Die restliche Brumm- und Rauschspannung lag bei 0.5mVeff bei
kurzgeschlossenem Eingang. Das entspricht einem S/N von 90dB bezogen auf 58W am
Ausgang.

Gruß

Heinz
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Heinz
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Re: Ein "Retro"-Transistor-Verstärker, Erfahrungen, Bericht.

Beitrag von Heinz »

Hallo zusammen,

Teil2
Die erste Inbetriebnahme einer solchen Verstärker-Schaltung ist nicht ganz
ohne Tücken. Anders als etwa bei Röhrenschaltungen läßt sich eine solche
Schaltung normalerweise nicht Stufe für Stufe aufbauen und austesten. Dafür
sind die Arbeitspunkte der einzelnen Transistoren zu instabil. Stabil halten
lassen sie sich nur mit einer schon funktionierenden Überalles-Gleichspannungs-
Gegenkopplung. Dazu muß die Schaltung aber schon fast komplett aufgebaut
werden.

Wir sind so vorgegangen:
Zunächst haben wir das Netzteil aufgebaut und geprüft (+/-32V im Leerlauf) und
die Leistungstransistoren auf den Kühlkörper montiert.

Danach wurde der Schaltungsteil auf der Streifenleiter-Platine fertiggestellt
bis auf die Transistoren T7 und T8.
Nach gründlicher Überprüfung haben wir diesen Teil jetzt mit einer niedrigeren
Spannung von +/-15V versorgt für einen ersten Test. Dazu wurden die beiden
Punkte A und B in der Schaltung provisorisch verbunden, das Poti P2 auf
maximalen Widerstand gestellt und der Eingang kurzgeschlossen. Wenn keine
Schaltungsfehler vorliegen, sollte die Stromaufnahme bei weniger als 5mA
plusseitig liegen, minusseitig ca. 1mA mehr. Mit dem Poti P1 sollte sich die
Spannung am Punkt B auf etwa Null Volt (bezogen auf Masse) einstellen lassen.
Anschließend wurde mit dem Poti P2 die Spannung zwischen den Punkten C und D
auf etwa 2.2V eingestellt.

Jetzt wurde die Versorgungsspannung schrittweise auf +/-32V erhöht, wobei die
Spannung an Punkt B immer auf etwa 0.0V nachjustiert wurde. Die Stromaufnahme
sollte sich dadurch nicht oder nur unwesentlich erhöhen.
Mit einem Oszilloskop kann jetzt auch die Signalverstärkung überprüft werden.
Ein Sinus-Eingangssignal von z.B. 1kHz/1Vss sollte am Ausgang B
verzerrungsfreie 20Vss ergeben. Maximale Ausgangsspannung vor Einsetzen der
Übersteuerung betrug dann ca. 55Vss.

Nachdem wir feststellen konnten, daß das alles funktioniert, wurden auch die
Transistoren T7 und T8 eingelötet und der ganze Testablauf wiederholt. Nur
wurde jetzt der Punkt E mit Punkt B verbunden und die Spannung zwischen den
Punkten F und G auf etwa 1.1V mit Poti P2 nachjustiert.

Nachdem auch diese Tests erfolgreich waren, haben wir schließlich die
Leistungstransistoren angeschlossen. Auch hier zunächst mit niedrigerer
Spannung.

Wir hatten einen Regeltrafo zur Verfügung. Dadurch konnten wir das "Original-
Netzteil" hernehmen und die Versorgungsspannungen bei den Tests mit dem
Regeltrafo einstellen. Man hätte natürlich auch separate
Gleichspannungsnetzgeräte für die Tests verwenden können.

Für die abschließenden Tests entfällt die Verbindung E-B. Mit Poti P1 wird der
Ausgang wieder auf 0.0V +/-5mV eingestellt und mit Poti P2 wird die Spannung
über z.B. R17 auf etwa 7mV eingestellt. Diese Spannung ließ sich dann auch in
etwa über R18,19,20 messen. Danach wurde auch der Test-Lastwiderstand von 4
Ohm angeschlossen. Wichtig natürlich bei allen Einstellungsänderungen: den
Verstärker immer so lange laufen lassen bis sich ein thermisches Gleichgewicht
eingestellt hat.

Ergebnisse dieser Tests sind schon in Teil 1 vorgestellt.

Bei älteren Transistor-Verstärkern z.B. aus den 1970er-Jahren konnte man
häufig feststellen, daß sie Probleme mit Übernahmeverzerrungen hatten.
Probleme, die möglicherweise verantwortlich waren für den damals kritisierten
"Transistorklang". Schon beim Entwurf der Schaltung wurde deshalb versucht,
solche Verzerrungen zu minimieren.

Übernahmeverzerrungen entstehen, wenn in der Endstufe des Verstärkers der
Übergang zwischen den positiven und negativen Signalhälften nicht glatt
verläuft.
Da sich ein normales Musiksignal einen überwiegenden Teil der Zeit in dieser
Übergangszone aufhält, sind Verzerrungen hier besonders störend.
Leistungstransistoren, die nicht schnell genug umschalten, sind ein häufiger
Grund für solche Verzerrungen. Verringern lassen sich diese oft durch eine
optimale Einstellung des Ruhestroms der Endstufenstransistoren.

Um die optimale Einstellung zu finden, müssen die Verzerrungen zunächst aber
sichtbar gemacht werden. Die normale Betrachtung des Ausgangssignals am
Oszilloskop reicht dazu nicht aus. Wir sind deshalb so vorgegangen:

Am Ausgang des Verstärkers parallel zum 4-Ohm-Lastwiderstand haben wir eine
Klirrfaktor-Meßbrücke angeschlossen (Eigenbau). Mit einem sehr klirrarmen
Sinus-Tongenerator haben wir dann eine Ausgangsspannung von 1kHz/10Vss erzeugt.
Die Klirrfaktorbrücke am Ausgang unterdrückt die Grundfrequenz schmalbandig.
Durchgelassen werden nur die Abweichungen von der idealen Sinus-Signalform.
Schaltet man jetzt das Oszilloskop auf xy-Darstellung und benutzt die 10Vss-
Spannung zur x-Ablenkung und den Ausgang der Klirrfaktorbrücke zur y-
Ablenkung, so ergibt sich etwa das folgende Bild:
IMG21_RetroB_Kl_Sinus_1500.jpg
Bild1 Retroverstärker, Null Ruhestrom

as Bild zeigt links die Verhältnisse mit ersten vorläufigen Einstellungen
des Ruhestroms auf wenige mA pro Transistor (Klasse-B-Betrieb). Die rechte
Hälfte der Leuchtspurfigur entspricht der positiven Signalhälfte, die linke
Hälfte der negativen. Die horizontale Ausdehnung entspricht 10Vss, die
vertikale 5mV/div, also erheblich stärker vergrößert. Rechts die normale
Darstellung des gleichen Ausgangssignals.
Mit einem Tongenerator und einem Verstärker ohne Verzerrungen würde man nur
eine strikt horizontale Leuchtspur sehen. Hier sieht man, daß dem Signal im
Bereich des Nulldurchgangs deutliche Verzerrungsprodukte überlagert sind, die
aber in der normalen Darstellung (rechts) nicht zu erkennen sind. Verringern
ließen sich diese durch einen höheren Ruhestrom:
IMG22_Retro30mAKl_1500.jpg
Bild2 Retroverstärker, 30mA Ruhestrom
Messung wie oben, aber mit Einstellung auf ca. 30mA Ruhestrom.

Die etwas zittrige Leuchtspur erklärt sich dadurch, daß die relativ kleinen
Verzerrungsprodukte von Restbrumm und Restrauschen überlagert werden.
Angesichts der alten und nicht optimal für HiFi-Zwecke geeigneten Transistor-
Typen kann man mit diesem Ergebnis zufrieden sein.

Zum Vergleich noch einmal die gleiche Messung (10Vss hor., 5mV/div vert.) an
einem älteren Selbstbau-Verstärker (1970er-Technik) aus meiner Antiken-
Sammlung, rechts wieder die normale Darstellung:
IMG23_DukaKL_Sinus_1400.jpg
Bild3 1973-Verstärker


Und unten das zugehörige Schaltbild. Hier konnten auch mit dem eingestellten
Ruhestrom von 90 mA die relativ starken Übernahmeverzerrungen nicht verringert
werden. Zusätzlich zeigt sich der höhere Klirrfaktor von ca. 0.2% bei den
höheren Amplituden.

IMG24_V1973.gif
Bild4 Schaltbild

Und die gleiche Messung nochmal an einem kommerziellen Verstärker (Pioneer
A119, Bj. 1991, seinerzeit untere Mittelklasse).
IMG25_A119_Kl_Sin_1500.jpg
Bild5 Pioneer A119 (1991)

Meinen Teil des Projekts sah ich damit als beendet.
Der Aufbau einer Stereo-Version im Gehäuse sollte danach kein großes Problem
mehr sein. Aber das ist eine andere Baustelle.

Gruß

Heinz
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Re: Ein "Retro"-Transistor-Verstärker, Erfahrungen, Bericht.

Beitrag von countryman »

Wow, vielen Dank für die ausführliche und verständliche Beschreibung! :!: :mauge: